Hörspieladaption Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug"

,Adams Ausrutscher‘ oder ,Der Fall Adam‘?

Der zerbrochne Krug gehört zu den bekanntesten, beliebtesten und meistgespielten Komödien der deutschsprachigen Literatur. Tatsächlich wird in Heinrich von Kleists erfolgreichem Bühnenstück so einiges an Humor aufgefahren: Skurrile Charaktertypen verflochten in einer pikanten Handlung, anspielungsreiche Situationskomik und eine bildhafte, oft arg ins Schlüpfrige gleitende Sprache machen den Text im wahrsten Sinne des Wortes zu einem ‚Lustspiel‘. Doch bei näherer Betrachtung wirkt diese Gattungszuordnung zu kurz gefasst, werden unter der Oberfläche leichten Vergnügens doch weitaus dunklere Gewässer angerührt: Von Machtmissbrauch ist die Rede, von Mauscheleien und gerichtlicher Willkür, von sexueller Nötigung und repressiver Strafverfolgung. Und auch das versöhnliche Ende, bei dem alle aufgedeckten Missstände kurzerhand in einer Welle des Wohlwollens aufgelöst werden, dürfte in Zeiten von #metoo so manchem schwer auf den Magen schlagen. Denn schon wieder wird weggesehen, schon wieder wird zu früh eingelenkt und damit die Regel bestätigt: Die starken Männer halten zusammen.
Ist so ein System wandelbar? Dieser Frage sind Studierende des Masters NDL im Rahmen einer Selbstorganisierten Arbeitsgruppe nachgegangen. Herausgekommen ist dabei eine Hörspieladaption des Stücks, die mit einigen Handlungsänderungen und Gender Switches das Thema aktualisiert.
(Anja Dolatta, Textbearbeitung)

Das Cover zum Hörspiel transponiert das Sujet auf die Ebene des Visuellen und des Allegorischen: Der Krug ist noch nicht zerbrochen. Bald entzweien die gierigen, lechzenden Hände das brüchige Gefäß, dessen Inhalt abhandengekommen ist. Es ist gerade noch so viel Platz übrig geblieben, um die Überschrift auf die Krugoberfläche zu schreiben – die Hände haben noch nicht an den Henkeln gezerrt und den Krug in Stücke gerissen. Noch ist der Titel eine stigmatisierende Prolepse. Aber hinter dem Henkelkrug zeichnen sich bereits Umrisse ab – möglicherweise eine Perücke? Die Vorstellung ist entsetzlich.
(Maria Dubovaya, Covergestaltung)

Als Waltraut hat mir natürlich Spaß gemacht, den sexistischen Adam in die Schranken zu weisen. Mit dem Gender Switch von Walter zu Waltraut ist die Handlung nicht nur aktualisiert worden, sondern legt den Finger in die Wunde. Zwar besetzen Frauen immer mehr Führungspositionen, jedoch in einem immer noch patriarchalen System, in dem es selbst eine noch so toughe Waltraut nicht vermag, den ‚Club der großen Jungs‘ aufzulösen.
(Claudia Oßwald, Waltraut)

Es war interessant Ruprecht – den Angeklagten und scheinbar betrogenen Verlobten – zu sprechen. Eine Figur zwischen den Dingen. Ist er Täter? Ist er Opfer? In jedem Fall ist er ein tölpeliger Charakter, der sich von einem auf den anderen Tag vor eine komplett neue Situation gestellt sieht. Ob verschuldet oder unverschuldet, löst sich erst zum Ende der Handlung hin auf.
(Lars Grimpe, Ruprecht)

Keck, frech, humorvoll. Die zunächst zurückhaltende Magd des Richters – Liese – blüht im Verlauf des Stückes auf und zieht an der Seite des Richters letztlich die entscheidenden Schlüsse im Fall ‚Der zerbrochene Krug‘. So gebühren Liese sowohl die ersten als auch die letzten Worte des Hörspiels – eine besondere Ehre. Es hat sehr viel Spaß gemacht, die Sprechrolle für Liese übernehmen zu dürfen, da ich meine eigene Stimme hierbei sehr vielseitig einsetzten konnte.
(Louisa Liebens, Liese)

Die facettenreiche Rolle der Eve, die nicht nur unter machtmissbrauchenden und übergriffigen patriarchalen Strukturen zu leiden hat, sondern auch unter der ‚Fuchtel‘ ihrer dominanten Mutter steht, hat meinem Spiel eine Menge Diversität abverlangt bzw. zugestanden. Aus der zunächst wortkargen und verschüchterten jungen Frau brechen im Laufe des Prozesses immer wieder lautstarke Schuldzuweisungen hervor – gegen Ende sogar eine sehr reflektierte und ‚bissige‘ Abrechnung, mit der ich zunächst nicht gerechnet hatte. So war es mir erlaubt, mit der Rolle der Eve während unserer Aufnahmen eine Entwicklung durchzumachen, die mir große Freude bereitet hat, weil sie in die richtige Richtung geht – weg vom Objekt.
(Mascha Schmid, Eve)

Es war sehr spaßig, Frau Marthe zu sprechen, besonders und vor allem, weil sie eigentlich nur flucht und ich sie deswegen mehr oder weniger durchgehend aufgebracht und sehr laut gesprochen habe (zum Glück hatte ich mir viele Hustenbonbons eingepackt). Worte wie „Schubiak“, „Hornvieh“ und prollige Drohungen wie „Dir weis’ ich noch einmal, wenn wir allein sind, die Zähne!“ werde ich eindeutig in mein Repertoire aufnehmen müssen. Spannend finde ich, dass diese Wut sich beständig wechselnd gegen unterschiedliche Figuren richtet, je nachdem welche Frau Marthe gerade als den*die Schuldige*n ausgemacht hat, besonders wenn es ihre eigene Tochter ist. Letztlich scheint sie jedoch ihren zerbrochenen Krug wichtiger zu finden, als das Schicksal ihrer Tochter und ist damit eine interessante, weil ambivalente Figur.
(Runa Janson, Frau Marthe Rull & Cover/Schrift)

Auf Grundlage der erneuernden Textbearbeitung durch Anja Dolatta, versuchte diese Arbeitsgruppe das Drama Kleists in einen gegenwärtigen Kontext zu transponieren. Es ging dabei aus produktionstechnischer Sicht darum die gerichtliche Situation möglichst lebendig darzustellen. Dabei entschied ich mich dafür, ‚live‘ aufzunehmen, das heißt, ich positionierte ein Mikrofon in der Mitte des Raumes in der Musikhochschule, um möglichst dem Kleist’schen Erzähltempo und Wortwitz in der direkten Konfrontation aufnahmetechnisch gerecht zu werden. Die Spezialeffekte fügte ich nach dem Schnitt hinzu. Beim Sichten des Materials sind mir die unterschiedlichen Sprechlautstärken als Folge dieser Aufnahmesituation aufgefallen, die aber meiner Meinung nach zu der Dynamik des Erzähltempos und der Charakterisierung der agierenden Figuren maßgeblich beitragen. Deswegen habe ich sie auch nur zum Teil lautstärkeregulierend angenähert, um dadurch die hierarchischen Strukturen zu inszenieren. Die Rolle des Adam hat mir riesigen Spaß gemacht und gerade die durch ihn verkörperte außerordentlich skurrile Machtinstanz unterstreicht die Aktualität des Stückes in der heutigen Zeit. Ein großes Lob noch einmal an alle Beteiligten, die ihre Rollen fantastisch dargeboten und Kleists Drama mit viel Humor reanimiert haben.
(Thomas Wisniewski, Adam + Produktion)

Das Hörspiel wurde im WiSe 2017/18 produziert

 

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